In Zeiten des Lehrkräftemangels dreht sich der schulpolitische Diskurs derzeit darum, wie die Unterrichtsversorgung künftig sichergestellt werden kann. Im Raum stehen Vorschläge, die für viele Lehrkräfte Mehrarbeit bedeuten werden. Werden diese umgesetzt, werden wahrscheinlich manche Pädagog*innen den Beruf aufgeben. Noch mehr Lehrer*innen werden aber wahrscheinlich nach und nach innerlich kündigen. Dieser Text erzählt die Geschichte vom langsamen Sterben einer Lehrer-Seele.
Spätestens mit den Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz ist der Lehrkräftemangel in der öffentlichen Diskussion angekommen: Die Probleme sind nun so offenkundig, dass es für die Satiriker von der Heute-Show oder von Extra3 ein gefundenes Fressen ist. Man könnte fast meinen, dass auch manchen Schulpolitiker*innen erst jetzt das Ausmaß des Problems klar wird – obwohl Studien das alles schon vor Jahren voraus gesagt haben.
Kultusminister*innen reagieren mit Mehrarbeit für alle oder Einschränkung der Teilzeit. Statt also den Beruf attraktiver für Neueinsteiger zu machen, wird der Druck auf die vorhandenen Lehrkräfte erhöht. Das bleibt nicht folgenlos. Manche Lehrer*innen ziehen die Konsequenz und verabschieden sich vom Lehrerberuf. Doch das erfordert eine Menge Mut – muss man doch in der Regel deutliche Abstriche beim Gehalt und den Pensions-Ansprüchen machen. Zu befürchten ist daher, dass immer mehr Lehrer*innen eine innere Kündigung vollziehen werden. Dadurch fällt kein Unterricht aus – aber die Schulen werden grauere Orte werden.
Denn bislang haben oft besonders engagierte Lehrkräfte, dafür gesorgt, dass sich viele Schüler*innen trotz aller Mängel unseres Systems in Schulen wohl fühlen können. Vor einer Weile hatte ich in diesem Blog aus so einem (fiktiven) Lehrerleben berichtet. In diesem Text möchte ich nun in Szenen davon erzählen, wie unser Schulsystem auch solche großen Lehrer-Seelen klein kriegt.
Szene 1: In der Ausbildung
M. atmet tief durch. Er sitzt im Bus nach Hause. Eben hat er die zweite Lehrprobe innerhalb von sechs Tagen hinter sich gebracht. Jetzt fehlt nur noch der letzte Prüfungstag, der maßgeblich über seine Note entscheiden wird. Das wird nochmal ziemlich anstrengend. Muss eigentlich eine Ausbildung so sein, dass man nur noch darauf wartet, dass es endlich vorbei ist?
Dabei mag er seine Fachleiterin: Sie tut wirklich alles dafür, ihm das Gefühl zu geben, dass sie ihm helfen will. Trotzdem fühlt sich jeder gut gemeinte Ratschlag an wie ein Nadelstich. Denn letztlich werden alle diese Ratschläge die Grundlage für die Gutachten sein, das dann mit einer Zahl beziffert, wie gut er als Lehrer ist.
Dabei hat M. das Gefühl hat, dass er noch gar nicht richtig angefangen hat zu lernen und zu verstehen, was für ein Lehrer er sein will. Eigentlich sagt die Note vor allem etwas darüber aus, wie gut er verinnerlicht hat, was für ein Lehrer er sein soll. Egal – in zwei Monaten ist es geschafft. Und dann kann er endlich anfangen, seine eigenen Vorstellungen von gutem Unterricht zu verwirklichen.
Szene 2: Nach dem Berufseinstieg
Nach der sechsten Stunde am Freitag läuft M. in einem Zustand zwischen Erleichterung und Erschöpfung durch den Flur vor dem Lehrerzimmer. R. kommt ihm beschwingt mit sichtlich guter Laune entgegen. „Schönes Wochenende!“
Wie macht er das nur mit der guten Laune? Sie haben beide vor einem halben Jahr zusammen an der Schule angefangen. Vielleicht ein Grund: R. hat nach dem Referendariat mit reduzierter Stundenzahl angefangen. Ein bisschen ist M. neidisch. R. arbeitet nicht weniger als er. Aber er wirkt zufriedener. Vielleicht weil er es schafft, seinen Unterricht gut vorzubereiten.
M. gelingt das nur selten. Und nun ist sein Unterricht oft sehr uninspiriert. Dabei wollte er genau das besser machen, als seine eigenen Lehrer. Aber nun reicht es oft einfach nicht für mehr als Unterricht aus dem Buch. F. – ein erfahrener Kollege – hat ihm geraten: „Konzentriere Dich in jedem Schuljahr auf eine Lerngruppe, die Du gut machst. Der Rest muss dann mitlaufen.“ Das bedeutet sieben von acht Lerngruppen werden mit Unterricht abgespeist, von dem alle im Raum wissen, dass er nicht gut ist.
M. kann das nur schwer ertragen. Deswegen versucht er einen guten Kompromiss zwischen Überlastung und Qualität zu finden. Das bedeutet derzeit, dass er sich ein Limit von 55 Arbeitsstunden gesetzt hat. Und obwohl er so viel arbeitet, bleibt das Gefühl, dass er seinen Job nicht gut macht. „Das gibt sich“, hat F. gesagt und ihm mitfühlend auf die Schulter geklopft.
Szene 3: Nach dem Unterricht
Als die anderen Schüler*innen nach dem Unterricht den Klassenraum schon verlassen haben, bleibt Madita vor M. stehen. Offensichtlich hat sie noch etwas auf dem Herzen. „Ich habe eine Bitte. Aber Sie müssen mir versprechen, dass Sie es mir nicht übel nehmen.“ M. nickt ihr aufmunternd zu. „Der Kurs schickt mich als Kurssprecherin. Wegen dem Projekt, das Sie uns vorgestellt haben. Also – wir würden lieber normalen Unterricht machen.“ M. spürt einen kleinen Stich im Herz. „Wieso?“ – „Wir finden die Idee eigentlich gut. Das macht bestimmt Spaß. Aber wir haben ein bisschen Sorge, dass uns nachher Zeit für die Vorbereitung auf das Abitur fehlt.“
Ihre Stimme wird etwas leiser. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich sogar etwas Angst, dass es mir Spaß machen könnte. In den nächsten Wochen stehen so viele Klausuren an. Ich kann mir einfach nicht leisten, viel Zeit mit etwas anderen Sachen zu verbringen.“
Szene 4: Auf der Hochzeit
M. kaut. Kartoffelgratin. Er ist ohne Begleitung auf der Hochzeit. Deswegen sitzt er am Reste-Tisch. Weil sich hier keiner kennt, ist das Gespräch eben wie immer zwangsläufig auf die Berufe gekommen. Bislang ist ihm gelungen sich heraus zu halten: Er hat einfach immer weiter gegessen – wenn man den Mund voll hat, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass man angesprochen wird.
Seine Gedanken schweifen wieder zur Schule – und zu der viel zu langen To-Do-Liste, die zu Hause liegt. Eine Hochzeit bedeutet, dass das Wochenende für Arbeit ausfällt. Das wird in der kommenden Woche wieder viel Stress bedeuten. Er trinkt einen großen Schluck aus dem Wein-Glas.
Gerade wegen der Überlastung redet er nicht gerne über seinen Beruf. Weil doch immer nur die selben Vorurteile reproduziert werden. „Was fängst Du eigentlich mit der vielen Freizeit an?“ „Die vielen Ferien sind schon toll, oder?“ „Das Einstiegsgehalt ist ja auch ziemlich gut!“ Weil jeder mal in der Schule war, glaubt jeder zu wissen, wie das ist – Lehrer zu sein.
Für M. ist jeder dieser Sprüche wie ein Schlag in die Magengrube. Am Anfang hat er noch versucht zu erklären, wie viel er arbeitet. Wie komplex die Anforderungen sind. Wie sehr er und viele Schüler*innen unter den Zwängen des Systems ächzen. Inzwischen hat er es aufgegeben, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass sich die Zuhörer für die wahren Verhältnisse gar nicht interessieren. Manchmal denkt er, dass vor allem viele Eltern gar nicht hören wollen, unter welchen Umständen ihre Kinder eigentlich ihre Zeit in der Schule verbringen.
Am Tisch entsteht eine kurze Pause. Inzwischen sind alle durch mit ihren Berufen – wahrscheinlich ist M. jetzt dran. Er steht schnell auf: „Ich gehe mal schauen, was es als Dessert gibt!“
Szene 5: Im Klassenraum
Ein Großteil der Klasse tauscht sich über die anstehende Oberstufen-Party aus, statt zu arbeiten. M. kann das eigentlich auch gut verstehen. Warum sollten sie sich für diese Aufgaben interessieren? Der einzige Grund, aus dem er sie stellt, ist, dass es im Lehrplan steht und vergleichbare Dinge im Zentralabitur dran kommen. Letztlich ist es ja sein Job, die Schüler*innen gut auf die Prüfungen vorzubereiten.
„Jetzt legt endlich los. Das ist alles klausurrelevant. Wenn ihr das nicht drauf habt, wird es eng.“ M. mag sich in solchen Momenten selber nicht. Irgendwie ist ihm das alles fremd. Am besten ist er als Lehrer, wenn er selber begeistert bei der Sache ist, wenn er den Unterricht mit Freude und Zeit entwickeln konnte. Dann gerät im Klassenraum etwas ins Schwingen.
Stattdessen hat er viel zu oft das Gefühl, zusammen mit seinen Schüler*innen vor jeder Stunde ein Korsett anzuziehen, in dem sie nur noch den Kopf leicht hin und her bewegen können. Es fühlt sich mehr nach Lernfabrik als nach Bildungsanstalt an. „Jetzt gebt doch wenigstens die letzten zehn Minuten Gas!“
Szene 6: In der Lehrerkonferenz
„Wir können auf einen erfolgreichen Tag der offenen Tür zurück blicken“, sagt der Schulleiter vor dem versammelten Kollegium. „Die Anmeldezahlen haben sich noch einmal erhöht. Wahrscheinlich bedeutet das auch, dass wir die Klassengrößen voll ausschöpfen müssen.“
M. schluckt. Er soll im kommenden Jahr eine 5. Klasse übernehmen. Nun hat er selber dazu beigetragen, dass die Klassenleitung mehr Arbeit wird. Denn, er hatte das Bühnenprogramm beim Tag der offenen Tür organisiert. Es war viel Motivationsarbeit erforderlich um die Kolleg*innen dazu zu bringen, mit ihren Klassen etwas einzustudieren. Dann noch der Aufwand mit der Bühnentechnik. Immerhin steht vorne schon der Blumenstrauß bereit, den er dafür bestimmt gleich bekommen wird. Zumindest ein bisschen Anerkennung.
„Vor dem Ende der Konferenz möchte ich noch eine Person besonders ehren. Unser Kollege F. hat heute sein dreißig-jähriges Dienst-Jubiläum!“ F. erhebt sich von seinem Stuhl und nimmt unter dem Applaus des Kollegiums den Blumenstrauß vom Schulleiter entgegen. M. klatscht mechanisch mit und starrt ins Leere.
Szene 7: In der Fachschaft
„Wie wäre es, wenn wir das gemeinsam aufziehen?“ M. versucht ein letztes Mal die Kolleg*innen zu dem neuen Unterrichtsprojekt zu motivieren. Alleine kann er es nicht stemmen. Aber gemeinsam wäre es wahrscheinlich machbar – und die Schüler*innen würden mit viel mehr Freude lernen.
„Wann sollen wir uns denn überhaupt treffen – wir haben doch gar keine gemeinsame Zeitfenster“.
„Ich habe schon genug Baustellen.“
„Und ich bin nur in Teilzeit.“
„Ich möchte mir meine pädagogische Freiheit da auch ehrlich gesagt nicht nehmen lassen.“
„Ganz ehrlich, den Aufwand dankt uns nachher keiner.“
„Dann rufen nur wieder Eltern an, die fragen, wann wir endlich wieder richtigen Unterricht machen.“
„Lasst uns langsam mal für heute Schluss machen.“
Szene 8: Beim Elternsprechtag
M. sitzt im Klassenraum der 10c. Vor ihm sitzen die Eltern von Ole. Ole selbst ist nicht mitgekommen, obwohl M. ausdrücklich darum gebeten hatte. Schließlich sollte es in dem Gespräch eigentlich um ihn und sein Wohl gehen. Aber die Eltern wollten ohne Ole mit ihm sprechen.
Der Vater ist sehr still. Die Mutter dagegen redet schon eine Weile aufgebracht auf ihn ein. „Das wäre doch eigentlich Ihre Aufgabe! Was werden Sie tun, um das zu ändern?“ Inzwischen ist M. klar: Es geht hier nicht um Ole. Und schon gar nicht um sein Wohl.
Womöglich geht es hier um das Ego der Mutter, das es nicht erträgt, dass ihr Kind wahrscheinlich kein Abitur machen wird. Oder sie macht sich einfach nur Sorgen, um die Zukunft ihres Sohns. Wenn sie ihm zu hören würden, wüsste sie, dass Ole kein Abitur machen will. Dass er müde vom ständigen Druck ist und von ständiger Nachhilfe. Dass er sich nur noch in die Schule schleppt. Und dass M. ein Teil dieses Systems ist, dass ihn quält.
Szene 9: Bei der Pausenaufsicht
Die Ablösung ist nicht erschienen. M. hat nun die Wahl: Geht er einfach? Bleibt er hier für den Rest der Pause beim Klettergerüst, damit die Kinder nicht unbeaufsichtigt herumtoben? Oder ruft er im Sekretariat an, damit irgendwer den Kollegen G. suchen geht. Mit der letzten Option wird er sich keine Freunde machen: Die Sekretärin wird genervt sein, weil sie nun die Lehrerzimmer ablaufen muss. Und G. wird es ihm übel nehmen, weil die Suchaktion wahrscheinlich auch die Schulleitung mitkriegt.
Manchmal kommt sich M. fast schon dumm vor, dass er versucht alle Regeln und Pflichten einzuhalten. Sein Leben wäre einfacher, wenn er öfter wegschauen würde. Und wie oft musste er schon die schlechte Arbeit von Kolleg*innen kompensieren. Es ist einfach frustrierend, dass es als Lehrer vollkommen egal ist, ob man einen guten Job macht oder nicht. Als M. gerade darüber nachdenkt, wann das letzte Mal jemand „Danke“ zu ihm gesagt hat, kommt G. angelaufen, um ihn abzulösen. „Sorry, ist mir durchgerutscht.“
Szene 10: Im Home-Office
Er hört es ihrer Stimme sofort an, dass sie langsam wirklich sauer ist. „Wann bist Du endlich fertig?“ „Gib mir noch 15 Minuten, dann komme ich runter.“ Wochenende bedeutet für M. eigentlich immer ein schlechtes Gewissen. Entweder weil seine Familie ohne ihn auskommen muss. Oder weil zu viel Arbeit liegen bleibt.
Dieses mal fällt es ihm leichter, denn sein Computer ist kaputt. Festplatten-Crash. Der neue ist schon bestellt. Das Dienstgerät, das er bekommen hatte, liegt weiter eingepackt in der Schublade. Die Techniker beim Schulträger haben die Nutzung wegen des Datenschutzes so stark eingeschränkt, dass das Tablet für den Berufsalltag quasi nicht brauchbar ist.
M. hofft, dass es keinen Ärger gibt, dass er einfach weiter ein eigenes Gerät benutzt. Glücklicherweise hat die Schulleitung keine Zeit zu prüfen, ob Lehrkräfte die Regel einhalten. So – jetzt noch eine Klausur schaffen! Und dann runter zum Kaffee mit der Schwiegermutter.
Szene 11: Während der Zeugniskonferenz
M. schaut aus dem Fenster. Zwei Mal im Jahr sitzen die Lehrer der Klasse zusammen. Und statt ernsthaft über eine Verbesserung der Zusammenarbeit oder die Klasse zu sprechen, geht es nur um die Prüfung von Zahlenkolonnen.
Eine Zeugniskonferenz muss es geben, weil das so im Schulgesetz steht. Noten und Zeugnisse sind Verwaltungsakte. Ob ein Schüler in der Klasse bei seinen Freunden bleiben kann oder die Schule verlassen muss, ist das Ergebnis einer Rechnung, deren Regeln Verwaltungsvorschriften vorgeben. „M.! Bist Du für oder gegen die Zeugnisbemerkung wegen häufig fehlender Hausaufgaben für Mark?“ M. hebt den Arm.
Szene 12: Im Büro des Schulleiters
„Ich habe leider nur zehn Minuten Zeit.“ Der Gesichtsausdruck des Schulleiters ist so gehetzt, dass M. das sofort glaubt. Eigentlich war ein Termin von 30 Minuten geplant. Nach sechs Jahren an der Schule hatte er um ein Personalgespräch gebeten. Er hat gerade das Gefühl, dass er für eine neue Aufgaben bereit – auch wenn er noch gar nicht so genau weiß, was es sein könnte.
„Ich sag es vielleicht direkt zu Beginn: Ich habe keine Ahnung, ob wir in nächster Zeit nochmal Beförderungsstellen bekommen. Und Entlastungsstunden gibt es derzeit auch keine zu vergeben.“ M. fühlt sich etwas überrumpelt. „Darum geht es mir gar nicht. Ich könnte mir einfach vorstellen, etwas mehr Verantwortung zu übernehmen.“ Der Schulleiter wiegt dem Kopf hin und her. Er wirkt, als wäre er gerade mit seinen Gedanken woanders.
Das Telefon klingelt. Der Schulleiter wirft einen hektischen Blick auf das Display. „Sorry, da muss ich ran gehen. Ich befürchte, wir müssen uns vertagen. Schreiben Sie mir doch nochmal wegen eines neuen Termins. Am besten bringen Sie direkt ein paar Ideen mit, was sie gerne künftig zusätzlich machen wollen.“
Szene 13: Vor dem Fernseher
M. schaltet den Fernseher ein. Es läuft eine Talk-Show über Lehrkräftemangel – mit Wissenschaftlern, Journalisten, Politiker*innen. Ohne Lehrer*innen.
„Wenn alle eine Stunde mehr arbeiten würden, hätte ich 1000 Lehrer mehr, die ich dringend brauche.“
„Wir haben als Bildungspolitiker das Problem jetzt erkannt und uns auf den Weg gemacht!„
„Die Lehrer-Verbände müssen sich auch fragen lassen, was die Alternative zu Mehrarbeit ist.„
M. schaltet den Fernseher aus.
Epilog
M. hat neulich darüber nachgedacht, wann er die Leidenschaft für seinen Beruf verloren hat. Es gab nicht den einen Moment, es war ein schleichender Prozess. Ungefähr nach zehn Dienstjahren hatte er aufgegeben, etwas an seiner Schule verändern zu wollen und sich so weit es ging aus allen Arbeitsgruppen und Gremien zurückgezogen. Ungefähr nach zwölf Dienstjahren hatte er geprüft, wie groß die finanziellen Verluste bei Gehalt und Pension wären, wenn er aussteigen und den Beruf wechseln würde. Zu groß. Ungefähr nach 15 Dienstjahren hatte er dann angefangen, seinen Unterricht mehr oder weniger nur noch abzuspulen.
Gemerkt hat den Unterschied in der Schule niemand. Vielleicht hat ihn auch nur niemand darauf angesprochen. Es ist nicht so, als wären ihm die Schüler*innen egal. Wahrscheinlich macht er seine Arbeit auch noch ganz okay. Er schaut nicht weg, wenn es einem der jungen Menschen schlecht geht. Aber wenn er ehrlich ist, schaut er vielleicht auch nicht mehr so genau hin.
Manchmal denkt er noch an sein junges Lehrer-Ich zurück. Damals als er an der Schule angefangen hat, war er voller Ideale und Motivation. Wenn er an diesen jungen Lehrer zurückdenkt, spürt er manchmal ein bisschen Wehmut. Aber dann schüttelt er den Kopf über so viel Naivität.
Bild: Stefan Schweihofer; Lizenz: Pixabay
Solch ein treffender und höchst anschaulich gelungener Beitrag ist natürlich nur jemandem möglich, der trotz solcher Erlebnisse über das unterrichtlich Notwendige hinaus noch viel Energie in die Verbesserung unseres Schulsystems stecken kann. Herzlichen Dank!!!
Mein Lehrerblog hatte nicht dies Niveau. Vielmehr wanderte mein Engagement aufgrund ähnlicher Frustrationen in den letzten drei Dienstjahren zur Wikipedia und zur ZUM, für die ich noch heute gut 15 Jahre nach Dienstschluss auf ZUM-Unterrichten (https://unterrichten.zum.de/wiki/Das_Klima-Buch) nachzuholen versuche, was mir in meiner aktiven Zeit nicht möglich war. Wenn wir das gegenwärtig schwerwiegendste Problem der Menschheit, bewältigen wollen, geht das nur mit mehr Bildung. Ich wünsche Ihnen viel und baldigen Erfolg für Ihren wichtigen Einsatz!
Vielen Dank für das tolle Feedback. Und vielen Dank für das Engagement bei ZUM – das ist wirklich Gold wert für uns aktive Lehrkräfte!
Wo gutes Unterrichten gelingt (und dann doch vielmehr Auf-richten ist), geschieht das trotz, und nicht Dank des bestehenden Systems, wie Sie in Ihrem durch und durch berührenden und leider realistischen Beitrag treffend beschrieben haben. Wie für so viele Bereiche gilt auch für die Schule: System Change (Not Climate Change)!!! Dafür setzen wir Teachers for Future uns ein, jeden Tag.
Selten so einen Text gelesen, der mir so aus der Seele spricht. In jedem einzelnen Detail finde ich mich wieder, nur, dass mein Prozess gerade mal 5 Jahre gedauert hat. Dann und wann überkommt es mich noch immer etwas verändern zu wollen, aber die Kraft fehlt.
Danke für den Text, ich habe jede dieser beschriebenen Situationen ähnlich auch erlebt.
Allerdings werde ich jetzt Ende dieses Schuljahres kündigen bzw. den Antrag auf Dienstentlassung stellen.
Seit dieser Entschluss gefallen ist, wiegt die Tatsache, dass ich meine Schüler bzw. den Unterricht selbst sehr vermissen werde, interessanterweise viel schwerer als der Wegfall der ganzen Beamtenvorzüge/-sicherheiten.
13 Jahre war ich eine engagierte Lehrerin, die tagtäglich Kinder motiviert hat und die Welt verbessern wollte. Seit 3 Jahren hadere ich und nun gebe ich den Beruf auf, weil ich dabei auf der Strecke bleibe, meine eigenen Kinder und mein Mann auf der Strecke bleiben. Mein Mann hat immer gefragt was das was ich mache mit Teilzeit zu tun hat. ich bewundere alle, die länger durchhalten als ich.
Eine tolle Geschichte, die sicher genau so derzeit hundertfach abläuft.
Ich bin seit 2017 als Quereinsteiger Vertretungslehrer und werde nun nach meiner 10ten Verlängerung die Stelle auslaufen lassen. Ich bin zu sensibel für diese Verrohung und Respektlosigkeit in den Klassenzimmern. Ich bin froh, dass ich nicht auf Lehramt studiert habe, weil ich dadurch mehr Chancen habe. Jetzt kann man sagen, dass ich vielleicht nicht gescheitert wäre. Kann sein, aber ich sehe im Klassenzimmer etliche erfahrene Kollegen und Kolleginnen, die nicht mehr können.
Und meine Schule ist eine Gesamtschule mit Standortfaktor 4…also auf dem Papier eigentlich ok.
Mein Problem ist unter anderem die Inklusion…damit meine ich nicht die 2-3 SuS pro Klasse, die einen anerkannten Förderbedarf und eine I-Kraft neben sich sitzen haben. Es sind eher die ohne Diagnose, weil die Eltern sich nicht kümmern, bzw. das Problem nicht sehen wollen. Das sind nämlich nochmal 5-8 in fast jeder Klasse.
Da rollt etwas ganz großes auf und zu.
Chapeau, Respekt für Ihren Einsatz und Ihr Durchhaltevermögen. Allerdings haben Sie auch 7 Jahre Ihres Lebens für diese hautnahe Erfahrungen mit entsprechenden Abstrichen in Besoldung und Gleichstellung, geopfert. Sie stehen da ähnlich da, wie ein studierter Kollege, der aus dem Dienst ausscheidet.
Es wäre erträglicher, diesen tollen Beitrag zu lesen, wenn man zumindest bezogen auf Kleinigkeiten sagen könnte: „Das läuft bei mir immerhin besser.“ ich habe sogar das Gefühl, dass man hier noch weitere Szenen einführen könnte, bezogen auf die gegenseitige Wertschätzung im Kollegium und zwischen Schulleitung und Kollegium, die zweifellos aus der treffend dargestellten Situation resultieren. Seit fünf Jahren bin ich jetzt in diesem eigentlich so tollen Beruf… Meine Gründe dafür, morgens aufzustehen und meine Arbeit zu tun haben sich allerdings drastisch reduziert. Genaugenommen gibt es nur noch einen… meine Schülerinnen und Schüler…
Ich könnte die gelungene Darstellung um mindestens 5 Szenen erweitern…. aber es ist so schwer, diesen täglichen Irrsinn in Worte zu fassen.
Nach über 20 Jahren stelle ich mir immer häufiger die Frage ob ich diesen Job wirklich bis zum Ende durchziehen will, obwohl ich für meine Schüler und für das System sicherlich eine „gute Lehrerin“ bin. Aber ich fühle mich immer häufiger wie der „Depp vom Dienst“….
Was ist eigentlich heutzutage unsere Hauptaufgabe??
Erziehung ? Sozialtraining ? Psychologische Betreuung? Elternratgeber? Präventionen ? Oder etwas die Vermittlung von Lerninhalten? Letzteres kommt leider viiiiiieeeeeel zu kurz, und dieser Bereich war der, der mir früher Freude bereitet hat. Davon halten aber weder die Schüler, noch die Eltern und leider auch die Schulleiter nicht mehr viel …!
Traurig, aber wahr.
Auch wenn ich mich nicht als Lehrkraft outen kann, so bin ich als Techniker an einer Schule, doch nicht minder betroffen. Mit vielen Ideen, wie man die Unterrichtsgestaltung durch entsprechende Medientechnik für alle Beteiligten aus meiner Sicht enorm vereinfachen und sehr viel ansprechender gestalten könnte, bin ich vor einigen Jahren als ehemaliger Elektroniker und System-Administrator dort gestartet. Was ich an den Schulen in zwei Bundesländern vorgefunden habe, ist nicht nur erschreckend, sondern schlichtweg ein Beispiel dafür, wie schlecht es um unser Bildungssystem bestellt ist. Es hängen modernste Multimedia Boards in den Klassenräumen mit der Herausforderung, dass nicht nur elementare Software und eine stabile Netzwerk-Infrastruktur fehlt, sondern auch Schulungen, um nicht nur Lehrkräfte, sondern auch technisches Personal konstruktiv einzubinden. Ich schreibe Anfragen, Anträge, versuche, Dinge zu verbessern, die ich nicht verbessern kann, weil weiter oben eine Entscheidung gefällt wurde, die mich an meiner Arbeit hindert. Grundlegende Dinge funktionieren nicht anständig, nicht mal der eigene Dienst-PC. Es liegt aus meiner Sicht unter anderem daran, dass viele Dinge im Hauruck Verfahren über das Land ausgeschüttet wurden. Wer das Ganze dann betreuen soll, daran wurde wieder mal nicht gedacht. Niemand hat zudem je kontrolliert, ob das was verbaut wurde auch wirklich funktioniert. Und vieles funktioniert einfach nicht. Für mich ist diese Herausforderung nicht mehr zu stemmen solange von oben dagegen gearbeitet wird. Um mich vor dem Burn-out zu schützen, werde ich jetzt die Reißleine ziehen und mich komplett aus dem Schuldienst verabschieden. Schade eigentlich, denn es hätte ein wirklich guter Job sein können.
Ich war 25 Jahre verbeamtetet Regelschullehrer und habe vor zwei Jahren den Dienst verlassen. Einfach weil ich mir, trotz aller Vorzüge zu schade für diese Tätigkeit bin. Einfach war es noch nie Lehrer zu sein, aber seit Corona haben sich die Verhältnisse dramatisch verschlechtert, zu viel für meine Gesundheit und meinen Seelenfrieden. Möglich war mir dieser Schritt durch die Selbstständigkeit meiner Frau, in deren Firma ich jetzt tätig bin. Jeder andere Tätigkeit kommt fast nicht in Frage. Man beginnt überall als Einsteiger mit entsprechenden Abstrichen und es wartet niemand da draußen auf einen. Ich werde jetzt, als Erzieher in einem Kinderheim tätig. Ich bin gespannt auf diese Erfahrung.
Eine Darstellung des Lehrerjobs, die auch bei mir leider in allen Details zutrifft. Ich befinde mich am Ende der 2. Schulwoche nach den Sommerferien und bin dermaßen tiefenerschöpft, dass ich eigentlich schon wieder Ferien oder eine Kur bräuchte. Ich bin alleinerziehend – arbeite in Teilzeit (halbe Stelle); arbeite trotzdem 35 bis 40 Stunden in der Woche. Ich möchte meinen Job gut machen. Niemand dankt es mir. Bezahlt bekomme ich die Überstunden auch nicht. Das sei mein Problem, wenn ich so ineffektiv arbeiten würde. Vorwürfe von Kollegen, weil ich dieses oder jenes nicht geschafft habe. Es war zeitlich einfach nicht machbar – wenig Verständnis, obwohl alle in derselben Situation stecken. Meine Kinder existieren während der Schulzeit für mich nur noch auf dem Papier und am Esstisch. Kochen ist nicht mehr. Wäsche stapelt sich. Zeit oder Kraft für den Haushalt – Fehlanzeige. Eigentlich bin ich gerne Lehrerin – und das sogar mit großer Leidenschaft. Aber unter diesen Bedingungen würde ich gerne den Job wechseln, leider fehlen Alternativen. Ich werde wohl früher oder später im Burnout enden. Wen interessiert’s? Niemanden.