Immer wieder höre ich: Diskussionen darüber, was Bildung ist, seien Zeitverschwendung. Statt zu reden, solle man doch lieber aktiv etwas verändern. Dabei ist es genau anders herum: Wer im Schulsystem etwas verändern will, muss über Bildung diskutieren. Vier gute Gründe für mehr statt weniger Debatten.
In den vergangenen Monaten wurde im digitalen Lehrerzimmer vermehrt darüber diskutiert, was zeitgemäße Bildung im Zeitalter der Digitalisierung sein könnte. Ich habe mich mit Beiträgen in meinem Blog und bei Twitter an diesem Diskurs beteiligt. Immer wieder tauchten dabei Kommentare auf, die die Diskussion über Begriffe als Zeitverschwendung abtaten. Der Tenor der Kommentare: Diskussionen über Bildung seien fruchtlos, konkretes pädagogisches Handeln sei gefordert.
Klar ist: Eine Diskussion über den Begriff Bildung ersetzt nicht aktives Tun. Wer die Schule verändern will, muss nicht nur reden, sondern auch handeln. Was Kritiker der Diskussion über Begriffe wie „zeitgemäße Bildung“ oder „digitale Bildung“ verkennen: Die Auseinandersetzung mit dem Bildungsbegriff ist eine wichtige Grundlage für ein gutes und aktives Lehrer-Leben. Diese These möchte ich begründen.
Der Bildungs-Begriff gibt Orientierung
Weil sich die Gesellschaft ständig verändert, müssen wir gemeinsam immer wieder neu definieren, was Bildung ist. Der Begriff Bildung hat dabei eine normative Dimension: Wenn wir gemeinsam definieren, was für uns Bildung bedeutet, geben wir damit auch vor, wie gute Schulen beschaffen sein sollten. Von der Unterrichtsstunde bis zum Lehrplan – alles muss sich daran messen lassen, ob es Bildung fördert. Je klarer wir den abstrakten Begriff Bildung konturieren, desto klarer wird auch unser Bild von den konkreten Bildungseinrichtungen und dem, was darin passieren soll. Insofern können fortdauernde Diskussionen über Bildung dabei helfen, die Schulen der Gegenwart und der Zukunft zu gestalten.
Der Bildungs-Begriff prägt das Lehrer-Selbstverständnis
Das eigene Verständnis des Begriffes Bildung kann auch jeden einzelnen Lehrer als eine Art Kompass in allen Bereichen seiner pädagogischen Tätigkeit leiten – vom eigenen Unterricht über die Schulentwicklung bist zur Teilhabe an politischen Diskursen. Eine Auseinandersetzung mit dem Bildungsbegriff und seinen vielen Facetten kann dabei den Horizont erweitern. Durch Diskurse über den Begriff mit anderen, verstehe ich selbst besser, was Bildung ist. Das bietet mir bei jeder pädagogischen Entscheidungen Orientierung und bereichert mich in meiner Tätigkeit.
Der Bildungs-Begriff ist die Voraussetzung für Kooperation
Es ist unstrittig, dass Bildung das vorrangige Ziel im Bildungswesen ist. Ebenso unstrittig ist, dass dieses Ziel nur durch Kooperation der Lehrer*innen erreicht werden kann. Kooperation ist dann besonders erfolgreich, wenn alle Beteiligten, das gleiche Ziel anstreben. Es folgt daraus zwangsläufig, dass möglichst große Einigkeit über die Bedeutung von Bildung für den gemeinsamen Erfolg förderlich ist. Dazu braucht es Verständigung im Diskurs.
Der Bildungs-Begriff erlaubt Widerstand
Weil Bildung ein normativer Begriff ist, erlaubt er auch Fehlentwicklungen zu benennen. Nur wer weiß, was Bildung ist, kann sagen: „Das ist keine Bildung“. Dies ist gerade jetzt unerlässlich, weil zunehmend Lobbyisten großer Konzerne Einfluss auf das Bildungssystem nehmen wollen. Je besser wir verstanden haben, was Bildung ist, desto besser können wir problematische Entwicklungen identifizieren. Eine möglichst breite gesellschaftliche Diskussion über den Begriff Bildung ist daher eine Grundlage dafür, die Hoheit der Zivilgesellschaft über unser Bildungswesen zu bewahren.
Danke für den Text! Hoffentlich erreicht er auch diejenigen, die sich mit dem „Nicht, reden, einfach machen!“-Ruf aus den Debatten verabschieden.
Eine Randbemerkung:
Den zentralen Satz „Nur wer weiß, was Bildung ist, kann sagen: ‚Das ist keine Bildung'“ halte ich (aus logischen Gründen) für falsch.
Ein abstraktes Gegenbeispiel: Man kann z.B. durchaus wissen, dass Angela Merkel nicht am 10.10.2016 gestorben ist, ohne zu wissen, wann sie tatsächlich stirbt. Und man kann durchaus sagen „Das ist keine (un)zeitgemäße Bildung“ ohne genau angeben zu können, was (un)zeitgemäße Bildung ist. Aber das ist wirklich eine Marginalie ;-)
Danke für den guten, richtigen Hinweis. Ich habe mich da womöglich von der schmissigen Formulierung leiten lassen.
Nachdem ich darüber nachgedacht habe, möchte ich Deine Kritik an meinem Satz noch ergänzen: Man kann als einzelner Mensch gar nicht wissen, was Bildung ist. Denn die Bedeutung solcher Begriffe ist nicht eindeutig, sondern entsteht letztlich erst im gesellschaftlichen Diskurs. Umso wichtiger ist es, diesen zu führen und die Deutung nicht anderen zu überlassen.
Was mir an Deinem Kommentar besonders gefällt: Er zeigt nochmal, wie konstruktiver, kritischer Austausch über Begriffe hilft, diese zu schärfen. Ich jedenfalls habe dadurch schon wieder dazu gelernt.