Leistung soll sich eigentlich lohnen. Im Schulsystem gilt das nicht: Herausragende pädagogische Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern wird kaum belohnt. Und schlechte Lehrer bleiben Jahrzehnte lange schlechte Lehrer. Wie ließe sich beides durch eine systematische Personalentwicklung ändern?
Über ungebetene Post freut man sich meist nicht, aber manchmal dann doch umso mehr: Ab und zu bekomme ich eine E-Mail von ehemaligen Schüler*innen. Sie erzählen, wie es ihnen ergangen ist. Sie fragen nach, wie es mir geht. Und manchmal sagen sie auch einfach Danke – für sehr unterschiedliche Dinge. Manchmal ist es nur ein aufmunternder Satz von mir, der ihnen in Erinnerung geblieben ist und etwas positives in ihrem Leben bewirkt hat.
Diese oft sehr persönlichen Nachrichten sind für mich wie ein kleiner Turbo-Boost. Denn Anerkennung für gute Arbeit gibt es im Lehrerleben nicht allzu oft. Vor einer Weile habe ich in einem Blog-Beitrag „Einen Tag im Lehrerleben“ des Lehrers M. beschrieben. M. existiert nicht wirklich – aber tatsächlich gibt es viele engagierte Lehrer*innen, die wie er ständig am Limit arbeiten. Ich habe bereits in einem Artikel beschrieben, wie Arbeitszeit-Modelle angepasst werden müssten, um Leistungsträger wie M. besser zu fördern. Genauso wichtig wäre aber eine systematische Personalentwicklung. Ich möchte in diesem Artikel die Defizite und mögliche Lösungen beschreiben.
Systematische Evaluation und Anerkennung von Leistung
Gehaltserhöhung bekommen die Beamten regelmäßig: Sind Lehrer*innen erst einmal verbeamtet, erhöht sich das Gehalt automatisch mit der Dienstzeit. Die Qualität ihrer Arbeit spielt dabei keine Rolle. Es gibt also keinerlei monetäre Anreize für gute Leistungen. Das führt nicht zuletzt auch bei motivierten Lehrer*innen zu Frust, wenn sie beobachten, dass Lehrkräfte mehr Geld erhalten, die weniger leisten.
Eine Möglichkeit hier Abhilfe zu schaffen wäre, dass Schulleitungen herausragende Leistungen auch monetär belohnen könnten – etwa indem sie ein bestimmtes Budget eigenverantwortlich an besonders fähige Lehrkräfte verteilen könnten.
Als Grundlage müsste innerhalb der Schulen natürlich Leistungen systematisch evaluiert werden. Schulleitungen haben zwar derzeit auf dem Papier die Möglichkeit, Lehrkräfte im Unterricht zu besuchen. In der Praxis fehlt ihnen dafür aufgrund der schieren Anzahl der Aufgaben die Zeit.
Die Evaluation muss dabei nicht zwingend nur von der Leitung erfolgen. Eine systematische Durchführung von Schüler-Feedback kann auch einen wertvollen Beitrag leisten. Meiner Erfahrung nach geben Schüler*innen sehr konstruktive und ehrliche Rückmeldungen, wenn sie den Eindruck haben, dass diese auch ernst genommen werden. Dank digitaler Tools wie Edkimo oder den Formular-Apps von Microsoft, Google oder Nextcloud ist Schüler-Feedback inzwischen auch sehr leicht und schnell durchzuführen.
Regelmäßige Personalgespräche statt Krisenkommunikation
Die Überlastung der Schulleitung führt auch dazu, dass sie mit Lehrkräften oft nur dann ins Gespräch kommen, wenn es Probleme gibt. Wie in in anderen Bereichen der Wirtschaft üblich sollte aber auch in Schulen zumindest einmal im Jahr mit jedem Mitarbeiter ein Personalgespräch stattfinden: Hier können Lehrer*innen präventiv Belastungen und Probleme ansprechen. Gleichzeitig bieten sie auch die Möglichkeit über die eigene Arbeit zu berichten.
Dabei geht es eben nicht nur um Kontrolle. Es geht auch um Wertschätzung. Das Engagement vieler Lehrer*innen wird übersehen, weil es nicht an die Schulöffentlichkeit dringt. Lehrkräfte, die zum Beispiel sehr viel Zeit in die Unterrichtsvorbereitung oder in die Korrektur von Klausuren investieren, werden oft nicht wahrgenommen. Personalgespräche bieten dafür einen geeigneten Rahmen. Natürlich sollte es auch darum gehen, welche berufliche Entwicklungsperspektiven sich bieten
Für regelmäßige Personalgespräche fehlt den Schulleitungen aber ebenfalls die Zeit. Gerade in großen Schulen, die oft deutlich mehr als 100 Lehrkräfte haben, müssten hier Strukturen geschaffen werden, damit nicht nur die Schulleitungen sich um die Mitarbeiter kümmern. Genau wie in mittelständischen Unternehmen braucht es zumindest in sehr großen Schulen noch einen Mittelbau mit Personalverantwortung.
Egal ob Schulleitung oder Abteilungsleitung – wünschenswert wäre, dass die Führungskräfte an Schulen für die Aufgaben auch zusätzlich qualifiziert werden: Die Leitung erfordert zahlreiche Kompetenzen, die in der Ausbildung für das Lehramt keinerlei Rolle spielen. Umso wichtiger wäre es, jede Personalverantwortung auch mit einer Qualifizierung in diesem Bereich zu verbinden.
Qualitätssicherung – nicht nur durch Schulleitungen
Eine genauere Evaluation der Leistungen wäre nicht nur sinnvoll, um gute Leistungen anzuerkennen, sondern auch für eine systematische Qualitätskontrolle. Man muss es so klar formulieren: Es findet derzeit so gut wie keine Qualitätssicherung in Schulen statt. Lehrkräfte können über Jahrzehnte die Zeit von Schüler*innen mit schlechten Unterricht verschwenden, ohne dass sich daran irgendetwas ändern würde.
Qualitätssicherung muss nicht nur durch die Schulleitung erfolgen. So könnten zum Beispiel die Fachschaften gestärkt werden. Gemeinsam könnten hier die Lehrkräfte zusammen Qualitätsstandards und Unterrichtsideen entwickeln. Theoretisch ist das auch jetzt schon möglich: Die sinnvolle Arbeit an schulinternen Lehrplänen wird leider aus Gründen vielerorts sehr stiefmütterlich behandelt.
Auch gegenseitige Hospitationen könnten Kollegen dabei helfen, ihren eigenen Unterricht kritisch zu reflektieren und neue Ideen zu entwickeln. Und kollegiale Fallberatung ist eine bewährte Methode für gegenseitige Unterstützung in schwierigen Fällen. Für solche kollegiale Zusammenarbeit sollte in jedem Lehrer-Deputat Zeit vorgesehen werden. Solange Lehrkräfte solche qualitätsförderlichen Maßnahmen freiwillig ohne Gegenleistung durchführen, muss man sich nicht wundern, wenn das im voll gepackten Berufsalltag kaum stattfindet.
Mehr Unterstützung für Berufsanfänger
Zudem müssten Berufsanfänger systematischer unterstützt werden. Sobald Lehrkräfte das Referendariat abgeschlossen haben, sind die Berufsanfänger*innen offenbar in den Augen der Landesregierungen fertige Lehrer*innen. Zwar gibt es nochmal ein Revisionsverfahren im Rahmen der Verbeamtung. Dies beschränkt sich aber auf einzelne Besuche zu Beginn der Dienstzeit. Danach arbeiten Lehrer*innen quasi ohne Begleitung und ohne systematische Personalentwicklung.
Dabei bereitet das Referendariat nicht wirklich auf berufliche Tätigkeit vor: Nachdem in der Ausbildung die Vorbereitung einzelner Show-Stunden bis ins kleinste Detail im Mittelpunkt stand, müssen die Berufseinsteiger nun plötzlich mehr als 25 Stunden pro Woche vorbereiten. Dies führt automatisch zu einer vollkommenen Überforderung. Berufseinsteiger müssen sich daran gewöhnen, sich mit schlecht vorbereitetem Unterricht durch den Schulalltag zu schlagen.
Diesen Praxisschock könnte man auf verschiedenen Ebenen abfedern: Zum Beispiel indem Berufseinsteiger bei vollem Gehalt in den ersten Berufsjahren eine Reduzierung der zu erteilenden Stunden erhalten, um sich in den Beruf richtig einzuarbeiten. Zusätzlich könnten den Berufseinsteiger erfahrene Mentor*innen an die Seite gestellt werden, die sie unterstützen und begleiten.
Die oben beschriebenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung können Schulen alleine nicht leisten, da ihnen die erforderlichen Personal-Ressourcen nicht zur Verfügung stehen: Die Schulen sind schon personell mit dem Kerngeschäft voll ausgelastet. Die Politik müsste also zusätzliche personelle Ressourcen zur Verfügung stellen. Diese Investition wären sicherlich fruchtbarer als die zuletzt als Wahlversprechen mit der Gießkanne verteilten Lehrerstellen.
Systematische Fortbildung von Lehrkräften
Ein wichtiger Bestandteil der Personalentwicklung ist die kontinuierliche Fortbildung. Dass es hier große Defizite gibt, hat sich spätestens in der Corona-Pandemie gezeigt. Die Defizite von vielen Lehrkräften im Bereich Digitalisierung wurden mehr als deutlich. Genauso großer Nachholbedarf besteht aber auch auf anderen zentralen Feldern der Schulentwicklung wie dem Umgang mit Heterogenität in Lerngruppen, Inklusion, Sprachförderung oder Förderung des selbständigen Lernens.
Vielen Lehrkräften sind ihre Defizite durchaus bewusst. Selbst willige Lehrer*innen stoßen aber in vielen Bundesländern auf ein Fortbildungssystem, das laut Expertenmeinung nicht geeignet ist, die oben beschriebenen Defizite zu beheben. So heißt es etwa in einem Expertenbericht über die Lehrerfortbildung in NRW:
„Das System der Lehrerfortbildung in NRW wird als suboptimal eingeschätzt. Die Strukturen sind unübersichtlich mit unklaren Zuständigkeiten, die Effekte der Fortbildungsanstrengungen sind unbefriedigend.“
In dem Gutachten wird nicht zuletzt gefordert, dass es eine Koordination der zahlreichen Fortbildungsangebote von Land, Bezirksregierungen, Kommunen und privaten Trägern geben sollte und dass die Bedarfe der Schulen und Lehrkräfte genauer erhoben werden müssen.
Förderung von digitalen und schulinternen Fortbildungen
Insgesamt muss das Fortbildungs-Angebot massiv ausgeweitet werden. Dabei sollten nicht zuletzt auch digitale Angebote ausgeweitet werden: Die Teilnahme an einem einstündigen Video-Workshop ist für Lehrkräfte viel besser in den Alltag zu integrieren, als eine ganztägige Fortbildung, für die Unterricht ausfällt.
Wichtig wäre zudem die schulinternen Fortbildungen zu fördern. An vielen Schulen gibt es herausragende Lehrkräfte, die ihr Wissen an ihre Kolleg*innen weiter geben können. Damit das parallel zum Schulalltag gelingt, brauchen Schulen aber mehr Flexibilität und personelle Ressourcen – zum Beispiel zusätzlich Schulentwicklungstage, an denen die Schulen geschlossen bleiben können und Entlastungsstunden für die besonders versierten Lehrkräfte, die ihre Kolleg*innen weiterbilden.
Mehr Möglichkeiten für Beförderungen in allen Schulformen
Ein wichtiger Bestandteil der Personalentwicklung ist auch die Beförderung. Grundsätzlich ist diese Möglichkeit an Schulen vorgesehen: Eine Beförderung – zum Beispiel vom Studienrat zum Oberstudienrat – bringt auch einen Wechsel in eine höhere Gehaltsstufe mit sich. Allerdings erfolgen diese Beförderungen nicht sonderlich leistungsorientiert.
So sind die Möglichkeiten für Beförderungen an den Schulformen sehr ungleich verteilt. An Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe 1 – also Haupt-, Real- und Gesamtschulen, gibt es so gut wie keine Beförderungsstellen. Die Beschäftigten erhalten zwar mit steigendem Dienstalter nach und nach mehr Geld. Dieser Gehaltszuwachs ist aber nicht an Leistungen gebunden. Lediglich Schulleitungen werden in eine höhere Gehaltsstufe eingestuft.
An Gymnasien gibt es vergleichsweise viele Beförderungsstellen. Es bleibt dabei vollkommen unklar, warum Tätigkeiten an Gymnasien eher beförderungswürdig sind als an anderen Schulformen. Selbst Schulleitungen werden an Grundschulen teilweise schlechter bezahlt als normale Lehrkräfte an Gymnasien. Das muss sich dringend ändern.
Beförderungsstellen sind zudem nicht Entlohnung für besonders gute Leistungen, sondern zumindest in NRW immer mit einer zusätzlichen Funktion verbunden: Lehrkräfte die sich darauf bewerben, müssen also automatisch auch eine zusätzliche Aufgabe übernehmen. Ein Problem dabei: Beförderungsstellen werden den Schulen von der Schulaufsicht nach intransparenten Prinzipien zugeteilt. Dabei erfolgt die Zuteilung oft kurzfristig: Es ist nicht möglich, eine Beförderung zurück zu stellen, wenn gerade gar keine sinnvolle Aufgabe zu vergeben ist. Dies erschwert natürlich eine nachhaltige Personalplanung.
Wenn Schulen Beförderungsstellen erhalten, entscheidet in erster Linie die Schulleitung über die Ausschreibung und damit über die Funktion. Dies ist einer der wenigen Momente ist, in denen sie verdiente Lehrkräfte „belohnen“ können. Daher schreiben die meisten Schulleitungen die Stelle so aus, dass sie auf eine bestimmte Lehrkraft zugeschnitten ist. Der eigentlich sinnvolle Ansatz, dass zentrale Funktionen durch die dafür am besten geeignete Person besetzt werden, ist so vielerorts ausgehebelt.
Beförderungen für besonders guten Unterricht
Problematisch ist zudem, dass die Beförderung oftmals für Aufgaben in der Verwaltung der Schulen erfolgt – zum Beispiel für die Erstellung des Stundenplans. Lehrer*innen, die ihre Arbeitszeit einfach nur in guten Unterricht investieren, können für besonders gute Arbeit auf diesem Feld keine Beförderung erhalten.
Das muss nicht sein: In Singapur zum Beispiel gibt es neben dem Aufstieg in der Verwaltung auch einen pädagogischen Beförderungs-Pfad: Die besten Lehrkräfte können zum Oberlehrer werden, die die Didaktik ihres Fach an der Schule vorantreiben. Solche Beförderungen für herausragende pädagogische Arbeit wären ein Anreiz für guten Unterricht – also etwas, was derzeit komplett fehlt.
Bild: Peggy und Marco Lachmann-Anke via Pixabay