Schulentwicklung: Eine Frage der Haltung von Lehrern?

Schulentwicklung: Keine Frage der Lehrer-Haltung

Bequem, faul, konservativ: Lehrer*innen haben nicht das beste Image. Daher scheint es kein Wunder zu sein, dass Reformen wie die Digitalisierung des Lernens oder die Inklusion nicht gelingen. Dabei liegt das Problem nicht in der Haltung der Pädagogen: Das Schulsystem selbst ist innovationsfeindlich.

Wieso geht es eigentlich so schleppend voran mit der Digitalisierung in den Klassenzimmern? Wenn man wie Armin Himmelrath von Spiegel Online die Vertreter der Schulbuch-Verlage befragt, ist die Antwort klar: Die konservativen Lehrer*innen sind schuld, die lieber weiter nur konventionelle Schulbücher statt modernen digitale Materialien nutzen wollen.

Die Ursache für diese vermeintliche Haltung: „Sie fürchten, dass ihnen die Technik über den Kopf wächst, und deshalb wollen sie nicht die großen Sprünge, die bahnbrechenden didaktischen Innovationen. Schulbücher als PDF-Dateien seien noch genauso gefragt wie CD-ROMs mit Material, das dann zu Hause vorbereitet und ausgedruckt werden kann, bestätigen die Verlage.“

Aber nicht nur bei der schleppenden Digitalisierung der Schulen wird gerne gerne auf die „faulen Säcke“ verwiesen, wie Altkanzler Gerhard Schröder Lehrer einst nannte. Inklusion? Individualisierung des Lernens? Demokratie-Erziehung? Alles ist demnach eine Frage der Haltung der Lehrer*innen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wenn es nicht funktioniert, dann haben sich die Lehrer halt zu wenig Mühe gegeben. Dann waren sie zu faul oder reformunwillig.

Dass innovative Schulentwicklung möglich ist, zeigen ja scheinbar die preisgekrönten Schulen, die gerne von Politikern und Medien vorgezeigt werden. So wurden zum Beispiel auf der Konferenz Bildung Digitalisierung 2018 mit Silke Müller (bei Twitter unter @SilkeWSH) und Maike Schubert (bei Twitter unter @Makijusaca) zwei Schulleiterinnen als Keynote-Sprecherinnen eingeladen haben, die mit ihren Schulen Pionierinnen des Lernens in Zeiten der Digitalisierung sind.

Und so erzählt Maike Schubert in ihrem Vortrag auch eine Erfolgsgeschichte. Davon wie an der von ihr geleiteten Freiherr-vom-Stein-Schule in Neumünster die Lernkultur nachhaltig verändert wurde und wie digitale Tools dabei halfen. Dieses Engagement war preisverdächtig: Die Freiherr-vom-Stein-Schule bekam 2016 den Deutschen Schulpreis.

Doch überraschenderweise beendet Schubert ihre Keynote mit einerem eher düsteren Bild. Denn die preisgekrönte pädagogische Arbeit wurde und wir ihr und ihrem Team nicht leicht gemacht:

„Wie gehen wir als Gesellschaft mit den Menschen um, die innovative Ideen voran treiben, die sich das antun Dinge auszuprobieren. Das ist mit viel Arbeit verbunden, das ist mit viel Frust verbunden, weil natürlich nicht alles klappt. […] Ich muss leider auch für meine Schule sagen, dass wir wirklich erschüttert waren, was uns da in diesen zwölf Jahren passiert ist von einem anfänglichen Hype hin dazu, dass wir die letzten vier Jahren massiv bekämpft werde bis zu persönlichen Anfeindungen. Da würde ich mir tatsächlich von der Politik wünschen, dass man ein Klima schafft, in dem Menschen etwas ausprobieren können, ohne Gefahr zu laufen, dass ihnen, neben den üblichen Steinen, mit denen man rechnet, richtig was angetan wird. Das ist für meine Schule in dem Umfeld, in dem wir sind, mit Schulträger und mit Schulamt, muss ich leider sagen, hochgradig problematisch. Wir sind an einem sehr schwierigen Punkt zur Zeit, wo die Gefahr besteht, dass meine Schule zusammenbricht unter dieser Last. Das ist sehr traurig, und auch da braucht es ein gesellschaftliches Nachdenken darüber: Wollen wir eigentlich Menschen haben, die Dinge ausprobieren, und wollen wir ihnen nicht einen Schonraum geben, in denen sie das sanktionsfrei tun können.“

Ein gutes Schulsystem müsste laut Schubert die Lehrer*innen schützen und fördern, die besonders innovationsfreudig und leistungsfähig sind. Das Gegenteil ist aber auch meiner Erfahrung nach der Fall: Lehrkräfte müssen erleben, dass ihr Engagement ihnen hohe Belastung beschert. Weil neue Ideen oft belächelt werden. Weil denjenigen, die ihren Job gut machen, von der Schulleitung gerne weitere Aufgaben übertragen werden. Weil diejenigen, denen die Kinder besonders am Herzen liegen, die Probleme der Schüler*innen wahrnehmen und sich zu eigen machen. Weil diejenigen, die nur Dienst nach Vorschrift machen, mehr Zeit haben sich um ihre Beförderung zu kümmern.

So gut wie alles, was gut ist an Schulen, beruht auf dem Engagement von Lehrer*innen, die den Widerständen des Systems trotzen. Und sehr viel was in Schulen schief läuft, ist Ergebnis der verakrusteten Strukturen. Die Lage wird dabei nicht besser, sondern schlechter. Ich kann mich an keine Reform erinnern, die Lehrer*innen ihren Beruf leichter gemacht hat. Im Gegenteil: Mit jeder Veränderung wird den Lehrer*innen mehr Arbeit aufgebürdet – in aller Regel ohne adäquaten Ausgleich.

Dieses Vorgehen zermürbt auch die aufrechtesten Kollegen: Denn wer seinen Job gut machen will, merkt schnell, dass er die Aufgaben in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht erledigen kann. Pflichtbewusstsein und eine aufrechte pädagogische Haltung führen nahezu zwangsläufig zu Frust und Überarbeitung.

Verweis auf Haltung verstellt Blick auf systematische Mängel

Sicherlich, es gibt sie in den Lehrerzimmern: die Blockierer, die Reaktionären, die Faulen. Aber es ist einfach, auf die Haltung dieser Menschen zu verweisen. Eine solche Position befreit davon, über die systematischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nachzudenken, die dazu beitragen, dass viele Schulen sich nicht weiter entwickeln. Einige Beispiele:

Lehrer*innen brauchen Zeit, um an ihrer Haltung zu arbeiten

Natürlich ist die Haltung der Pädagogen nicht irrelevant. Tatsächlich erfordern Entwicklungen wie die Digitalisierung oder die Inklusion die eigene Haltung zu hinterfragen. Lehrer*innen brauchen aber auch Zeit, um an ihrer Haltung zu arbeiten. Ein gutes Schulsystem würde dabei helfen, indem die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um das eigene pädagogische Selbstverständnis zu hinterfragen: Systematische Fortbildungen, Zeit für internen und externen Austausch. Das ist Change Management, das auch zu den Aufgaben der Politik gehören sollte.

Im Hinblick auf die Digitalisierung scheint es aber zum Beispiel aus Sicht der Politiker zu genügen, Geld zur Verfügung zu stellen, um Internet-Anschlüsse, Digitale Tafeln und Tablets zu finanzieren. An den vielen viel grundlegenderen Problemen, die die Digitalisierung erschweren, ändert sich dagegen nichts.

Und so bedeutet die Arbeit als Schulleitung oft, die Mängel zu verwalten und schlechten Rahmenbedingungen zu trotzen. Und tatsächlich berichtetet auch die Schulleiterin Silke Müller in ihrer Keynote davon, wie sie sich mit ihrem Team von der Waldschule Hatten auf den Weg gemacht hatten, der „Digitalisierung das Fürchten zu lehren“. Deutlich wurde, wie unermüdlich sie zusammen mit ihren Kollegium trotz aller Widerstände die Schulen weiter entwickelt haben. Best Practice, wie man es von einer Keynote eben erwartet.

Aber am Ende ihres Vortrages wechselt Silke Müller genau wie Maike Schubert den Ton: Sie beendet ihren Bericht über die ebenfalls preisgekrönte digitale Transformation an ihrer Schule mit einem fulminanten Appell an die anwesenden Pioniere an den Schulen:

„In diesem Sinne ist es an der Zeit, dass wir uns laut erheben, noch lauter als bislang, dass wir so nicht mehr mit uns umgehen lassen. Politik und Verwaltung verlassen sich auf uns sogenannten Pioniere und unsere Expertise. […] Was aber würde denn eigentlich passieren, wenn wir so wert geschätzten Pioniere, wenn wir alle diese ach so wert geschätzten Kollegen, unsere Arbeit niederlegen würden? Weil wir unter widrigsten Umständen arbeiten, ohne strukturelle Unterstützung ohne Ressourcen, oftmals über die eigene Belastungsgrenze hinaus, immer dem Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik ausgesetzt. […]. Was aber, liebe politischen Weichensteller, machen sie dann, wenn wir Dienst nach Vorschrift machen? […] Wir übernehmen Verantwortung für unsere Kinder und die Zukunft unserer Kinder. Unter welchen Umständen wir das tun müssen, ist eine absolute Schande und ein Armutszeugnis. Aufgeben? Niemals. Weitermachen? Ja. Aber nicht mehr unter diesen Umständen.“

Silke Müller und Maike Schubert sind Schulleiterinnen, die gemeinsam mit ihren Teams ihre Schulen zu Leuchttürmen entwickelt haben. Möglich war das sicherlich nur, weil sie mit unermüdlichem Einsatz daran gearbeitet haben, ihre Schulen besser zu machen und an die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen anzupassen. Insofern gibt es an ihrer Haltung wohl keinen Zweifel.

Das was sie, wie wahrscheinlich alle engagierten Lehrer*innen, davon abhält, nur Dienst nach Vorschrift zu machen, ist gerade eben ihre Haltung. Die tiefe Überzeugung, dass sie das alles nicht für ihren Dienstherren machen, sondern für die Schülerinnen und Schüler. Aber ein starres, innovationsfeindliches System kann auch die aufrechteste Haltung auf Dauer zum Einknicken bringen.

4 Gedanken zu „Schulentwicklung: Keine Frage der Lehrer-Haltung

  1. Michael Schöngarth

    Lieber Dominik,

    Vielen Dank für diesen engagierten Artikel. Ich bin ganz deiner Meinung. Ich möchte nur eine Anmerkung machen, die sich auf etwas Prinzipielles bezieht: Es geht um den Begriff der (pädagogischen) Haltung. Der Begiff ist m.E. zu 98% eine Black Box, in deinem Artikel scheint er im letzten Abschnitt definiert zu werden: „tiefe Überzeugung, dass …“. Das wäre ja dann genau jene Leerformel, die Politiker immer nutzen, wenn sie nicht weiter begründen wollen. Daher glaube ich, dass wir immer dann, wenn es um Haltung geht, wir klären müssen, was wir meinen. Ich habe das geschafft, als ich Claudia Solzbacher gelesen habe. Demnach erwirbt man eine professionelle Haltung, indem man Kompetenzen erwirbt. Punkt. Und das war es schon und wir sind wieder bei deinem prima Artikel. Das System muss Ressoircen zur Verfügung stellen, um massiv Fortbildung zu ermöglichen (idealerweise bei deutlich reduziertem Deputat).

    Viele Grüße
    Michael

    Antworten
    1. D.S. Beitragsautor

      Lieber Michael,
      eine Klärung von Begriffen ist sicherlich immer sinnvoll. Haltung mit Kompetenzen gleichzusetzen finde ich dabei aber schwierig – Kompetenzen sind ja erstmal wertfrei. Ich verstehte unter pädagogischer Haltung eher ein Bündel an Tugenden, die leitend für das Handeln und somit die Nutzung professioneller Kompetenzen ist.
      Viele Grüße
      Dominik

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  2. Axel

    Hi,
    also den ganzen negativen Bedingungen kann ich zustimmen und kämpfe da auch selbst andauernd damit.
    Allerdings ist es auch ein bisschen schade, dass wenig konkrete Problemlösungen in dem Artikel erwähnt werden. Dass an vielen Punkten in dem Schulsystem etwas schief läuft oder Lehrkräften Steine in den Weg gelegt werden, ist vielen wahrscheinlich klar. Im oberen Kommentar von Michael kommt z.B. ein reduziertes Deputat ganz klar zur Sprache. Allerdings sehe ich es zusätzlich so, dass Aufgaben wie z.B. Schulentwicklung ganz klar zur Aufgabe aller Lehrkräfte gehört und dies auch sehr stark institutionalisiert werden sollte z.B. durch eigene Arbeitsplätze für Lehrkräfte und eben auch entsprechende Verfügungsstunden. Nach meiner Erfahrung ist die aktuelle Situation so, dass man das halt mal nebenbei macht.
    Ein weitere Aspekt den ich mir bei der Schulentwicklung wünschen würde ist, dass es einen gezielten und geplanten Austausch der Schulen auf kommunalen oder städtischen Ebenen gibt. Ich stelle mir z.B. ein halbjährig organisiertes Treffen von [wechselnden] Lehrkräften vor in dem sich konkret über Themen wie z.B. Inklusion, Werteerziehung, Digitalisierung oder neue Ideen der Leistungsbeurteilung ausgetauscht wird.
    Wo es mir selbst noch ein bisschen an Ideen fehlt ist, wie ein möglichst Angstfreier Raum geschaffen wir um neue Ideen auszuprobieren.

    Abschließen wollte noch loswerden, dass meine Ideen von oben auch nur positive Vorschläge sein sollen die sicher nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Allerdings würde ich mir wünschen, dass wir mehr über positive und konkret umsetzbare Bedingungen des Schulsystems nachdenken sollten.

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