Artikelserie: Lehrer brauchen mehr Zeit

Wenn sich ein Lehrer in der Öffentlichkeit über Zeitmangel beschwert, ist ihm Hohn und Spott sicher. Schließlich haben Lehrkräfte nachmittags frei und so gut wie immer Ferien. Diese Vorurteile sind leicht zu entkräften. Viel schlimmer ist die Wahrheit: Lehrkräfte können ihre Aufgaben in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfüllen.
Bei einer Hochzeit saß ich einst neben einem Mediziner. Der angehende Chirurg erzählte mit Stolz aus seinem erfüllten Berufsleben. Dass ich Physik unterrichte, nötigte ihm Respekt ab: Wahrscheinlich hatte er noch die Pflichtveranstaltung „Physik für Mediziner“ im Hinterkopf, durch die sich angehende Ärzte im Grundstudium quälen. Vor diesem Hintergrund schien ihm offensichtlich das sorglose Leben als Lehrer entschuldbar: „Da hast Du Dir die viele Freizeit ja verdient!“

Solche Reaktionen sind kein Einzelfall: Ich vermeide daher inzwischen Small-Talk über meinen Beruf. Denn ich reagiere auf die gängigen Vorurteile sehr allergisch, die den Lehrerberuf auf die angeblich so grandiose Work-Life-Balance reduzieren. Das liegt vor allem daran, dass mein Berufsalltag ganz anders aussieht: Meine typische Arbeitswoche hat im Durchschnitt  mehr als 50 Stunden. Ich verbringe immer einen Teil der Ferien am Schreibtisch. Sonntage sind für mich nur in Ausnahmefällen keine Arbeitstage. Und dennoch leide ich in meinem Berufsleben unter chronischem Zeitmangel, fühle mich meist gehetzt und habe sehr oft das Gefühl, meine Aufgaben nicht gerecht werden zu können.

Lehrer arbeiten durchschnittlich 56,8 Stunden pro Woche

Dass es ein falsches Vorurteil ist, dass Lehrer viel frei haben, zeigt etwa dieser Beitrag aus der WDR-Wisschenschafts-Sendung Quarks und Co.:

Klischees über Lehrer - Der Lehrer - das unbekannte Wesen

Laut dem Beitrag arbeiten Lehrer durchschnittlich 56,8 Stunden pro Woche. Aus welchen Quellen die Zahlen stammen, ist unklar. Es ist gar nicht so einfach, Statistiken dazu zu finden, wie viel Lehrer arbeiten. Alle Studien-Ergebnisse, die ich gefunden habe, weisen nach: Lehrer arbeiten durchschnittlich eher etwas mehr als normale Arbeitnehmer, die in Vollzeit tätig sind. Dabei schwankt die Stundenzahl aber sehr stark – laut einer älteren Studie zwischen 930 bis 3652 Stunden pro Jahr. Zum Vergleich: Im Durchschnitt liegt der der Wert bei deutschen Arbeitnehmern bei rund 1650 Stunden.

Die zitierte Statistik zeigt, dass manche Lehrer tatsächlich wenig, andere aber wahnwitzig viel arbeiten. Diese Diskrepanz hängt von vielen Faktoren ab: Die Fächer spielen eine große Rolle: Wer etwa Deutsch und Englisch an einem Gymnasium unterrichtet, muss sehr viel Zeit für Korrekturen aufwenden. Aber es kommt auch auf das Engagement des Lehrers an: Bereitet er seinen Unterricht gut vor? Engagiert er sich für außerunterrichtliche Projekte? Kümmert er sich auch außerhalb des Klassenzimmers um die Belange seiner Schülerinnen und Schüler?

Das Referendariat lehrt: Für gute Arbeit hat man zu wenig Zeit

Ein entscheidender Faktor ist der Wille zur Qualität. Vor allem Lehrer, die ihren Beruf und seine Anforderungen ernst nehmen, sind systembedingt gehetzt. Diese Erfahrung habe ich bereits im Referendariat gemacht. Von Beginn an hatte ich stets das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, um Unterricht so vorzubereiten, wie wir es in der Ausbildung lernten. Die Erfahrung aus dem Referendariat hattte mich gelehrt, dass eine volle Stundenzahl nicht mit guter pädagogischer Arbeit vereinbar ist.

Deshalb habe ich bei meiner Einstellung meine Stundenzahl bewusst reduziert und arbeite seit her in „Teilzeit“. Statt der normalen Stundenzahl von 25,5 Stunden pro Woche begann ich mit 18 Stunden – also rund 70 Prozent. Diese Teilzeit-Stelle war in Wahrheit eine Vollzeitstelle: Ich arbeitete nicht weniger. Dafür habe ich für die einzelnen Stunden mehr Zeit. Damit geht es mir besser – auch wenn ich dafür auf Geld verzichte.

Ich bin sicher nicht der einzige Vollzeit-Teilzeit-Pädagoge. Lehrer sind überdurchschnittlich oft in Teilzeit tätig: An den Gymnasien in NRW sind es insgesamt rund 34 Prozent, insgesamt sind in Deutschland rund 28 Prozent der Arbeitskräfte in Teilzeit tätig. Natürlich hat das damit zu tun, dass es für Lehrer sehr unkompliziert ist, in Teilzeit zu arbeiten. Ich kenne aber einige Kollegen, die diese Freiheit nicht nutzen, um mehr Zeit für Familie oder Hobbys zu haben, sondern um die Belastung des Schulalltags erträglich zu machen.

Die Belastung von Lehrern lässt sich leicht klein rechnen

Im öffentliche Diskurs werden Hinweise auf die Belastung von Lehrern hin und wieder klein gerechnet. 25,5 Schulstunde pro Woche muss ein Lehrer an einem Gymnasien in NRW unterrichten. 25,5 Schulstunden entsprechen einer Arbeitszeit von 18,75 Zeitstunden. Bleibt da nicht genügend Zeit für die anderen Aufgaben?

Aus meiner Sicht, ist es unmöglich angesichts dieser Stundenzahl im Lehrerberuf hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Die nächsten Beiträge sollen daher aufzeigen, dass Lehrer nicht zu viel frei, sondern viel zu wenig Zeit für Schüler und Unterricht haben. Um zu belegen, dass die Pflichtstundenzahl zu hoch ist, möchte ich in den kommenden Wochen in einer Artikelserie erklären, wofür wir mehr Zeit brauchen.

Mehr aus der Artikel-Serie zum Thema Zeitmangel:

Lehrer brauchen mehr Zeit…

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