Der Bund will in den kommenden Jahren Milliarden in die IT-Infrastruktur der deutschen Schulen investieren. Wenn grundlegende strukturelle Probleme im Schulsystem dabei nicht angegangen werden, droht das Geld im System zu versickern, ohne dass sich die digitale Bildung substantiell verbessert.
Waren es die Fake News, Filterblasen, Big-Data-Analysen oder doch die Social Bots? Nach dem Sieg von Donald Trump wurde heftig darüber diskutiert, wie groß der Einfluss der neuen Medien auf den Ausgang der US-Wahl war. Unzweifelhaft scheint es aber, dass es Nachholbedarf bei der Medienbildung gibt: Glaubt man Untersuchungen des amerikanischen Professors Sam Wineburg hat die Mehrheit der sogenannten „Digital Natives“ an amerikanischen High-Schools schon sehr große Schwierigkeiten Werbung und seriöse Artikel im Internet auseinander zu halten. Seine einzige Hoffnung heißt Bildung:
„Das Internet ist das beste Fact-Checking-Instrument aller Zeiten – und gleichzeitig das beste Instrument, um die eigenen Vorurteile zu bestätigen. Was entscheidet nun, ob das Internet uns umsichtiger und informierter macht oder vorurteilsbeladener? Die einzige Antwort, die mir dazu einfällt, ist: Bildung.“
Wie wichtig Medienbildung ist, haben inzwischen auch deutsche Politiker verstanden. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Partei oder irgendeine Arbeitsgruppe die Bedeutung der digitalen Bildung betont. Ende des vergangenen Jahres kündigte die Bildungsministerin Wanka öffentlichkeitswirksam an, dass der Bund in den kommenden Jahren fünf Milliarden Euro in die Digitalisierung der Klassenzimmer – zum Beispiel für die Breitband-Anbindung und flächendeckendes WLAN.
Im Anschluss wurde in den Medien intensiv die Frage diskutiert, ob man nicht lieber in die Sanierung der maroden Gebäude investieren sollte oder ob digitale Bildung überhaupt von Bedeutung oder nicht sogar kontraproduktiv sei.
Angesichts der intensiven Mediennutzung von Jugendlichen, die beispielsweise in der aktuellen JIM-Studie noch einmal nachgewiesen wurde, erscheint die Diskussion teilweise realitätsfern. Wenn Bildung junge Menschen auf das Leben vorbereiten soll, muss sie auch auf das Leben in der digitalen Welt vorbereiten: Eine Schule die Fake News, Social-Media-Blasen oder Cyber-Mobbing nicht thematisiert, überlässt die Schülerinnen und Schüler ihrem Medien-Schicksal. Insofern sind Investitionen in Hardware und Breitband-Infrastruktur sicherlich sinnvoll und überfällig, um die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Medienpädagogik zu verbessern.
Es ist allerdings mehr als fraglich, ob die von der Bundesregierung angedachte Förderung der digitalen Bildung mit der Gießkanne im deutschen Schulsystem auf fruchtbaren Bildungsboden fällt. Zahlreiche systematische Probleme verhindern aus meiner Sicht derzeit, dass Schülerinnen und Schüler in allen deutschen Schulen den versierten und verantwortlichen Umgang mit Medien erlernen:
Problem 1: Fehlender IT-Support an den Schulen
Der Bund will unter anderem in die Ausstattung der Schulen mit Breitband-Anschlüssen, WLAN und Geräten investieren. Maßgeblich für eine dauerhafte Verbesserung der Medienbildung ist jedoch nicht nur die Ausstattung mit Hardware, sondern auch ein dauerhafter Support. Schon bei der Wartung der vorhandenen IT-Geräte hapert es an vielen Schulen schon jetzt.
Wenn in einem Klassenraum eine Steckdose kaputt ist, kümmert sich der Hausmeister darum: Entweder erledigt er die Reparatur selbst oder beauftragt einen Handwerker. Wenn ein Computer den Geist aufgibt, ist die Aufgabenteilung nicht so klar. Eigentlich bräuchten viele Schulen einen eigenen IT-Hausmeister. Mangels Personal sind es aber doch meist engagierte Lehrer, die sich um die Wartung von Rechnern und Multimedia-Technik kümmern – obwohl ihnen schon für vieles andere Aufgaben zu wenig Zeit bleibt.
Dabei ist in NRW eigentlich die Arbeitsaufteilung klar geregelt: Laut einer Vereinbarung zwischen Kommunen und Land müssen die Lehrerinnen und Lehrer nur First Level Support leisten: Es sollte demnach genügen, wenn sie Schäden diagnostizieren und melden. Die eigentliche Aufgabe der Pädagogen ist die Medienpädogik – also die Frage, wie die digitalen Medien im Unterricht eingesetzt werden.
Die Realität an vielen Schulen sieht anders aus: In vielen Schulen müssen die Pädagogen selber Hand anlegen, wenn sie wollen, dass Probleme schnell behoben werden. Denn ob der IT-Support funktioniert, hängt letztlich von der Bereitschaft der Kommunen als Schulträger ihre Aufgabe ernst zu nehmen. Aber selbst bei gutem Willen ist es natürlich vor allem auch eine Geldfrage, wie viel Personal für den Support an den Schulen zur Verfügung steht. Gerade wenn es um IT-Fachkräfte geht, wird es den Kommunen sicherlich auch künftig schwer fallen, im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft kompetentes Fachpersonal für den öffentlichen Dienst zu gewinnen.
Es bleibt daher zu befürchten, dass digitale Bildung nur in den Kommunen funktionieren wird, die sich funktionierenden IT-Support leisten können. So ist es wahrscheinlich, dass die Digitalisierung die Bildungsschere noch weiter öffnen wird. Diese Entwicklung ist derzeit schon bei der Hardware-Ausstattung zu beobachten. So kann sich beispielsweise die prosperierende Kleinstadt Monheim am Rhein jetzt schon leisten, ganze Klassen mit iPads auszustatten. Von einer solchen Ausstattung werden andere Schulen in klammen Kommunen trotz der Förderung vom Bund voraussichtlich weiter nur träumen können
Problem 2: Keine Zeit für Medien-Konzepte
Selbst die beste Hardware nutzt nichts, wenn die Lehrer sie nicht pädagogisch sinnvoll einsetzen. Wohl auch deshalb hatte die Bundesregierung es zur Voraussetzung für ihre Investitionen gemacht, dass die Länder Ideen zur Förderung der Medienbildung entwickeln. Die Kultusministerkonferenz legte denn auch prompt ein Strategiepapier für die Bildung in der digtalen Welt vor: Es sieht vor, dass spätestens ab 2026 kein Kind mehr deutsche Schulen ohne umfangreiche Medienkompetenzen verlässt. Es ist daher abzusehen, dass in den nächsten Jahren alle deutschen Schulen ein medienpädagogisches Konzept entwickeln müssen.
Die Bildungseinrichtungen werden sich also Gedanken darüber machen müssen, wie sie die von oben angeordnete Medienbildung konkret umsetzen wollen. Da es ja bis auf weiteres kein Fach Medienkunde gibt, müssen die LuL die Förderung dieser Medienkompetenzen nun in den „normalen“ Fachunterricht einbinden. Dies ist ein sehr aufwändiger Prozess, da die Schulen selber entscheiden müssen , wie sie die verschiedenen Kompetenzen auf den Fachunterricht verteilen, welche Hardware sie dafür brauchen und so weiter. Dabei müssen zudem möglichst alle Lehrerinnen und Lehrer eingebunden werden.
Wie so häufig gilt hier das Problem: Die Pädagogen haben neben dem Tagesgeschäft oft nicht die personellen Ressourcen für die Entwicklung, Einführung und Evaluierung von so komplexen Konzepten. Zusätzliche personelle Ressourcen werden dafür erfahrungsgemäß nicht zur Verfügung gestellt. Ob eine Schule gute Konzepte entwickelt, hängt daher häufig davon ab, ob es einzelne Kollegen gibt, die freiwillig engagiert arbeiten und auf dem Feld der Medienbildung besonders kompetent sind. Es ist daher zumindest fragwürdig, ob alle Schulen tragfähige Strukturen aufbauen werden.
Problem 3: Digitale Bildung erfordert handlungsorientierten Unterricht
Die Einbindung der Medienbildung in den Unterrichts-Alltag birgt meiner Erfahrung nach ein weitere Schwierigkeit. Medienbildung funktioniert meiner Erfahrung nach am besten, wenn sie auf eine handlungsorientierte Medienpädagogik setzt: Indem die SuS im Unterricht eigene Zeitungen, Hörspiele, Kurzfilme oder Websites erstellen, erwerben sie ihre Medienkompetenz quasi „learning by doing“. Zudem lässt sich bei solchen Medienprojekten die Medienbildung gut mit dem Fachunterricht verbinden. verbinden: Die Medienprodukte dienen als Präsentationsmedien für die fachlichen Inhalte.
Allerdings sind solche Unterrichtsprojekte oft zeitaufwändig: Kreativität verträgt sich oft nicht gut mit den Lehrplänen. Zudem erfordert eine solche Pädagogik vor allem von LuL an Gymnasien eine Umstellung: Angesichts der Stellungnahmen von prominenten Lehrervertretern darf man jedoch in Frage stellen, ob überhaupt alle Lehrer willens sind die medienpädagogischen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen.
Problem 4: Lehrer brauchen selber Medienbildung (viel)
Doch selbst wenn alle Pädagogen willens wären, fehlt es vielen schlichtweg an Kompetenz. Der Fortbildungsbedarf ist sehr groß: Laut einer von Google und Texas Instruments finanzierten Studie spielen digitale Medien und ihr Einsatz in der Lehrer-Ausbildung nur selten eine Rolle. Vor allem LuL, die schon länger im Dienst sind, verfügen über wenig bis keine Kenntnisse hinsichtlich des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht.
Doch nicht nur aufgrund der geringen Vorbildung ist der Fortbildungsbedarf riesig. Da Medienbildung eine Aufgabe aller Fächer ist, müssen so gut wie alle LuL fortgebildet werden. Und da die Dynamik auf diesem Gebiet besonders groß ist, müsste die Fortbildungen auch fortlaufend erneuert werden: Während viele LuL inzwischen mit Facebook etwas anfangen können, sind die SuS längst weiter gezogen zu Snapchat und Instagram.
Doch selbst wenn Fortbildungen angeboten werden, heißt das noch lange nicht, dass das Know How bei den LuL ankommt – selbst wenn diese willens sind. Es gibt immer noch viele Schulleiter, die die Fortbildung der Pädagogen eher als hinderlich empfinden, da zwangsläufig Unterricht ausfällt.
Fazit: Medienbildung bleibt auch künftig Glückssache
Zusammengefasst: Damit Schüler eine tragfähige digitale Bildung genießen können, müssen sie das Glück haben in einer Kommune zu leben, die sich gute Hardware und IT-Support leisten kann. Sie müssen zu einer Schule gehen, in der die Schulleitung und das Kollegium Medienbildung einen wichtigen Stellenwert einräumt und gemeinsam tragfähige Konzepte entwickelt und diese auch umsetzt. Und nicht zuletzt müssen sie bei Lehrern lernen, die sich Innovationen öffnen und die Zeit haben, ihren Unterricht an eine neue Medienrealität anzupassen. Angesichts dieser Voraussetzungen wird es wohl trotz der angekündigten Investitionen auch künftig dabei bleiben: Medienbildung in Deutschland ist Glückssache.
Weitere Artikel aus der Reihe „Das Schulsystem macht Schülern das Lernen schwer“
- Übersicht-Artikel: Wie das Schulsystem Schülern das Lernen schwer macht
- Wie der Physik-Lehrplan den Spaß am Lernen verdirbt
- Standardisierung: Lerngehorsam durch Noten-Diktatur
- Selbständiges Lernen: Selbstgesteuert ist nicht autonom
- Woran fächerübergreifender Unterricht scheitert
- Soziales Lernen: Erwachsen werden ist kein Lernziel
- Lerndialoge: Wieso Lehrer nicht mit Schülern reden
- Denken lernen steht in keinem Lehrplan
- Demokratie-Defizit: Schulen formen keine mündigen Bürger
- Warum Schüler nicht aus ihren Fehlern lernen können
Zwei aktuelle Artikel zum Thema:
Faz.net: Digitalisierung in der Schule Wenn Lehrer mit der Internetverbindung kämpfen
Lehrer-Blog zur digitalen Bildung: „Mehr als einen Topf voll Geld und ein paar grobe Vorgaben gibt es nicht“
Eine schöne Übersicht über Digital Skills: http://allaboardhe.org/digital-skills-framework/
… naja. Aus meiner Sicht ist das nun nicht besonders hilfreich. Eher aus der Kategorie Buzzword-Bingo. ;-)
Stimmt schon – es ist letztlich „nur“ eine Übersicht. Diese finde ich aber hilfreich, um Menschen, die sich mit dem Thema nicht beschäftigen, einen optisch ansprechenden Eindruck zu vermitteln, wie komplex Medienkompetenz heute ist bzw. wie viele Bereiche es zu schulen gilt.
Den Artikel kann ich in allen Punkten nur bejahen. Genau so sieht es in unseren Schulen heute aus. Ich würde trotzdem noch einen Punkt ergänzen, nämlich die Räumlichkeiten. Eine grundlegende Umgestaltung des Lernprozesses erfordert auch ein anderes Raumkonzept. Die meisten Schulen sehen noch aus wie zu Beginn des 20. Jahrhundert, selbst wenn diese neu gebaut wurden. Arbeit mit mobilen Geräten erfordert auch Rückzugsräume, Räume für Projekt- oder Ganztagsunterricht, ganz zu schweigen für Räumlichkeiten für den Inklusionsunterricht. Also nicht nur Technik ausstatten, sondern Schule ganz anders denken.
Vielleicht sollte man das Thema unter zwei Aspekten betrachten, neben dem gerne zitierten Schlagwort „Medienkompetenz“ wäre sicherlich eine stärkere Auseinandersetzung mit modernen Lehr- und Lernmethoden an unseren Schulen wünschenswert.
Letzteres ist auch außerhalb von Schulen oder anderen Bildungseinrichtungen ein großes Thema. Im Berufsleben ist es heute bereits Normalität, dass Mitarbeiter systematisch via „E-Learning“ geschult werden, oder sich unsystematisch, meist in Eigeninitiative, selbst weiterbilden – meist durch die Nutzung von Informationen aus dem Internet. Ausgerechnet die Schulen hängen bei diesem Thema um Jahrzehnte hinterher. Um das aufzuholen bedarf es nicht nur großer Investitionen sowie einer grundlegenden Neuorganisation des Bildungswesens, sondern – wie von Ihnen sehr gut auf den Punkt gebracht: Neue und in sich konsistente Konzepte.
Mit „Medienkompetenz“ ist in den meisten Fällen „Mediennutzungs-Kompetenz“ gemeint, und dieses Thema ist im Grunde alles andere als neu: Schon seit den 80er Jahren wird das Thema kontrovers diskutiert, seinerzeit eher mit Fokus auf das Fernsehen. Man muss nicht besonders kritisch sein, um festzustellen, dass in den letzten 30 Jahren trotz aller Diskussionen kaum relevante Fortschritte beim Thema „Medienkompetenz“ zu erkennen sind.
Unser staatliches Bildungssystem ist längst nicht so schlecht, wie es manchmal gerne gemacht wird, aber auch bei einer positiven Grundeinstellung muss man einräumen, dass es sehr träge ist. Unflexibel, wenig innovativ, oftmals Spielball dogmatisch geführter politischer Diskussionen – um ein weiteres Buzzword zu bemühen: Nicht agil genug. Das Bildungssystem im Land der „Dichter und Denker“ wurde längst rechts überholt – und alle schauen wie paralysiert zu. Das muss sich ändern.
Dieser Hinweis ist richtig und wichtig: Digitale Medien haben das Potential, die Lernkultur zu modernisieren. Ein Beispiel: Das MIFD-Modell bietet einen interessanten Überblick, wie digitale Tools bei der Individuellen Förderung zum Einsatz kommen können: http://integrate2learn.de/das-digitale-basismodell.html