Rückkehr zu G9: Vorwärts in die Vergangenheit

Die Rückkehr zu G9 bietet Bildungspolitikern eine Möglichkeit, die Gymnasien weiterzuentwickeln. Ein erster Entwurf in NRW zeigt: Für die Landesregierung ist das Gymnasium von morgen das Gymnasium von gestern.

Als sich in NRW 2005 die ersten Schüler*innen auf den Weg zum Abitur nach acht Jahren machten, war Gerhard Schröder noch Bundeskanzler und George W. Bush amerikanischer Präsident. Das neoliberale Vertrauen in die Märkte war noch nicht durch die Finanzkrise nach der Pleite der Lehman-Brothers und der Staatsschulden-Krise erschüttert. Die digitale Revolution steckte noch in den Kinderschuhen: Es gab noch kein iPhone und keine Android-Smartphones und der erste Tweet war noch nicht geschrieben.

Auch in der Schullandschaft hat sich seit dem Start von G8 einiges geändert. Die Hauptschulen wurden größtenteils abgewickelt. Der Anteil der Schüler*innen, die ein Gymnasium besuchen und Abitur machen steigt. Die Inklusion erhöht die Vielfalt in den Klassenzimmern. Und die gestiegenen Anforderung der Integration durch Einwanderung von innerhalb und außerhalb der EU.

Neue Herausforderungen – neue Ideen?

Man könnte meinen, dass vor diesem Hintergrund Bildungspolitiker neue Ideen entwickeln, wie sie die Gymnasien fit für die zahlreichen Herausforderungen machen können. Gerade jetzt bietet sich durch die Rückkehr zu G9 die Gelegenheit, neue Ideen zu entwickeln und Bildungslücken bei drängenden Anforderungen wie Digitalisierung, soziale Kompetenzen, individuelle Förderung und politischer Bildung zu schließen. Denkbar wäre auch eine Förderung individueller Lernformen oder Projektarbeit.

Besonders gespannt durfte man in NRW sein. Schließlich hatte die FDP und die zuständige Minsterin Yvonne Gebauer bei der Übernahm der Regierungsverantwortung nicht weniger als „Weltbeste Bildung“ angekündigt. Der erste Entwurf für die neue G9-Stundentafel liefert einen guten Eindruck davon, wie die Landesregierung diesen Anspruch künftig an den Gymnasien im Land realisieren will:

  • Die Anzahl der Wochenstunden liegt für die Stufen 5-10 bei insgesamt 180 – bei G9 waren es 179.
  • Der Fächerkanon bleibt gleich, lediglich jeweils zwei Stunden für Informatik und Wirtschaft wurden ergänzt. Diese sollen aber nicht als eigenständige Fächer unterrichtet, sondern in den natur- bzw gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht integriert werden.
  • Schulen haben die optionale Möglichkeit insgesamt acht Ergänzungsstunden auf die sechs Jahrgänge zu verteilen – für Arbeitsgemeinschaften, individuelle Förderung oder Profilbildung.

Das neue G9 ist das alte G9

Das neue G9 ist also das alte G9 – abgesehen von wenigen kosmetischen Änderung. Insofern es überrascht daher wenig, dass der konservative Philologen-Verband den Stundentafel-Entwurf begrüßt.

Es bleibt zu konstatieren: Die Politik leistet keinerlei Beitrag, die Schullandschaft zu verändern oder Gymnasien weiterzuentwickeln. Im Gegenteil: Weil die Stundentafel den zeitlichen und organisatorischen Rahmen für den Schulalltag bildet, verhindert der Entwurf Veränderungen an den Schulen. Denn die Stundentafel ist das Korsett, das auch reformfreudige Schulpraktiker tragen müssen, und das sie in ihrer Bewegungsfreiheit stark einschränkt.

Eine gute Nachricht gibt es zumindest: Ganztagsschulen sollen auch bei G9 einen Stellenzuschlag von 20 Prozent erhalten. Weil die Zahl der Unterrichtsstunden sinkt, haben sie nun größere Spielräume für individuelle Angebote, die auf die veränderten Anforderungen der Gesellschaft und die Bedürfnisse der jeweiligen Schülerschaft zugeschnitten sind. Es liegt also weiter in der Verantwortung der Schulpraktiker, Schulen schülergerechter zu gestalten. Von Bildungspolitikern ist offenbar weiter wenig Unterstützung zu erwarten.

So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom – und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu. (Francis Scott Fitzgerald in „Der große Gatsby“)

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