Guter Unterricht braucht gutes Unterrichtsmaterial

Guter Unterricht braucht gute Materialien

Texte, Fotos, digitale Medien oder Experimente: Interessante und ansprechende Materialien sind eine wichtige Grundlage für erfolgreichen Unterricht. Im Alltag leidet die Qualität allerdings oft unter mittelmäßigem Schulbüchern und fehlender Ausstattung.

„Schlagt bitte das Buch auf auf Seite 187!“ Es gibt leider keine Statistik, wie oft Schulunterricht so oder so ähnlich beginnt. Aber es ist unzweifelhaft, dass Schulbücher im Unterricht oft noch eine zentrale Rolle spielen. Das hat viele Gründe. Eine davon ist natürlich, dass die Bücher als Material-Sammlungen die Vorbereitung und Durchführung des Unterrichtes extrem vereinfachen. Schulbücher genießen zudem großes Vertrauen in der Gesellschaft, da ja in der Regel erfahrenen Lehrerinnen*innen die Materialien zusammenstellen.

Schulbücher haben grundsätzliche didaktische Mängel

Wer Schulbücher nutzt macht daher auf den ersten Blick nicht viel falsch. Ich persönlich benutze Bücher nur sehr selten im Unterricht, denn sie haben auch sehr viele didaktische Mängel:

  • Schulbücher sind auf Texte und Bilder begrenzt und bieten wenig Möglichkeiten zur Interaktion.
  • Erfolgreiches Lernen ist individualisiert und muss daher den Schüler*innen Freiheit bei der Wahl ihrer Lernwege bieten – Schulbücher bieten aber oft nur eine standardisierte Lern-Einbahnstraße.
  • Die Unterschiede innerhalb der Klassen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit sind oft sehr groß: Dieses Problem hat sich durch die Inklusion noch einmal verschärft. Ein Schulbuch für alle Schüler*innen kann nur begrenzt die Möglichkeit zur Differenzierung bieten – der Vielfalt in den Lerngruppen werden sie daher nicht gerecht.
  • Wegen der relativ langen Produktionszyklen können Schulbücher auf aktuelle politische und gesellschaftliche Themen naturgemäß nur sehr bedingt eingehen.
  • Schulbücher sind didaktisch oft wenig innovativ. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Verlage an den Erwartungen ihrer Kunden orientieren. Und viele Lehrer wünschen sich Bücher, die so sind, wie sie immer waren, damit sie an ihrem Unterricht nichts verändern müssen.
  • Wahrscheinlich auch deshalb enthalten künftig viele Bücher oft sterbenslangweilige Aufgaben.
  • Bücher sind oft wenig kompatibel zu offenen Unterrichtsformen wie Projektunterricht.

Zudem gibt es manchmal eine systematischen Bruch zwischen dem Lernen der Schüler*innen und der Gestaltung der Bücher. Dies lässt sich am Beispiel Physik erklären. Diese enthalten oft zu großen Teilen Sachtexte, welche die physikalischen Theorien möglichst verständlich erklären sollen: Auf den ersten Blick scheint es so, als würde es genügen, dass die Schüler*innen nur den Text lesen müssten, um die Inhalte zu verstehen. So funktioniert Lernen in Naturwissenschaften aber nicht: Es ist etwas vollkommen anderes, einen Text zu lesen, in dem etwas erklärt wird, und die abstrakten Zusammenhänge wirklich zu verstehen. Naturwissenschaftliches Lernen funktioniert meiner Erfahrung nach nur durch eine wiederholte und vielfältige Auseinandersetzung: Entdecken, forschen, experimentieren, anwenden, transferieren und so weiter.

Lehrer zahlen zusätzliche Materialien oft aus eigener Tasche

Weil Bücher nur bedingt gutes Lernen ermöglichen können, müssen Lehrer sich also oft selber um zusätzliche Materialien kümmern, wenn sie guten Unterricht machen wollen. Tatsächlich gibt es auf dem Markt sehr viele Verlage, die sehr viele Materialien veröffentlichen – inzwischen auch angereichert durch multimediale Angebote. Für fast jedes Thema findet man nach etwas Recherche Ressourcen, mit denen sich gut arbeiten lässt. Allerdings müssen die LuL dafür in der Regel ins eigene Portmonee greifen. Denn die Schulen verfügen in aller Regel über ein sehr kleines Budget für Unterrichtsmaterialien.

Aber selbst wenn die Pädagogen sich auf eigene Rechnung zusätzliche Materialien anschaffen, um ihren Material-Fundus zu erweitern, sind Lehrer bei der Vervielfältigung für die Schüler*innen in vielerlei Hinsicht eingeschränkt: Zum einen sind an vielen Schulen aus Kostengründen die Anzahl der Kopien kontingentiert. Während meines Referendariates verfügte ich beispielsweise über ein Kontingent von 1000 Kopien – pro Jahr.

Beim Kopieren aus anderen Schulbüchern bewegen sich die Lehrer*innen zudem nicht selten urheberrechtlich auf dünnem Eis. Denn die Pädagogen dürfen aus Schulbüchern nicht beliebig viele Seiten vervielfältigen. Auf der Website schulbuchkopie.de werden die Regeln genau erläutert – etwa wie viele Seiten aus einem Buch man pro Jahr kopieren darf. Interessanterweise wird dabei fast schon mantrartig wiederholt, dass die Regeln einfach und klar sind. Das mag sein. Praktikabel sind sie nicht: Es ist im stressigen Schul-Alltag so gut wie unmöglich nachzuhalten, wie viele Seiten eines Buches man im Laufe eines Jahres kopiert oder wie viel Bilder man eingescannt hat.

Erstellung von eigenen Materialien ist sehr zeitaufwändig

Möchte man nicht aus Büchern kopieren, bleibt noch die Option, selber Materialien zu erstellen. Gerade weil von LuL eine zunehmende Individualisierung und Differenzierung des Lernens gefordert wird, wäre das eigentlich eine gute Lösung: So könnten sie Materialien auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schüler*innen in ihren Lerngruppen anpassen. Es ist allerdings sehr zeitaufwändig, eigene Arbeitsblätter zu gestalten: Angesichts der Vielzahl von Aufgaben haben die meisten Pädagogen dafür wenig Zeit.

Arbeitsteilung wäre ein Ausweg: Man stelle sich vor, eine Schule könnte für die Erstellung für diese Aufgabe besonders begabte Lehrerinnen und Lehrer vom Unterricht freistellen, um Materialien zu erarbeiten und dann für alle Lehrer s zur Verfügung zu stellen. Solche flexiblen Einsätze für Lehrer*innen sieht das Dienstrecht aber leider nicht vor.

Zudem ergeben sich auch bei der Erarbeitung von Materialien in Eigenregie urheberrechtliche Probleme: Schließlich ist es nicht erlaubt, einfach Abbildungen oder Fotos aus Büchern oder dem Internet einzufügen. Gerade die Lehrer*innen, die sich besonders viel Mühe bei der Erstellung von individuellen Arbeitsmaterialien geben, verstoßen so oft gegen rechtliche Bestimmungen.

OER werden nicht systematisch gefördert

Einen Ausweg bieten sogenannte Open Educational Resources (OER). Dabei handelt es sich um Unterrichtsmaterialien, die unter einer offenen Lizenz stehen – also ohne oder nur unter geringen Einschränkungen vervielfältigt und bearbeitet werden dürfen. Dank der zunehmenden Digitalisierung lassen sich Medien ohne zusätzliche Kosten beliebig vervielfachen. Die OER-Bewegung wird dabei vor allem getragen von ehrenamtlichen Engagement von Kolleginnen und Kollegen, die ihre selbst erstellten Materialien anderen zur Verfügung stellen.

OER erklärt - die Grundlagen

OER könnten ein Ausweg aus der Material-Misere sein. Bildungspolitiker*innen aller Parteien betonen zwar immer wieder, dass sie OER gut finden und unterstützen auch einige Initiativen wie Mapping OER oder OERinfo. Eine systematische Förderung ist aber nicht erkennbar – womöglich auch um einen Konfrontationkurs mit den Schulbuch-Verlagen zu vermeiden.

Material-Sammlungen verkommen, weil keiner Zeit für Instandhaltung hat

Materialien sind aber ohnehin mehr als nur Bücher, Texte und Arbeitsblätter. Vor allem für digitale Medien brauchen die Schulen nicht nur Inhalte, sondern auch Hardware. Über die Schwierigkeit bei der Ausstattung mit Werkzeugen für die Nutzung digitaler Medien habe ich ja schon geschrieben. In Naturwissenschaften, Arbeitslehre, Kunst oder Musik ist aber auch fachspezifische Ausstattung erforderlich. Allerdings gilt hier genau wie für die digitale Hardware: Das Budget im Schuletat für die Anschaffungen ist sehr begrenzt. Alles was darüber hinaus geht, muss beim Schulträger beantragt werden. In der Regel sind das die Städte und Gemeinden.

Viele Kommunen haben aber nicht genug Geld, um die Schulen angemessen mit den oft teuren Fach-Materialien auszustatten. Nicht nur deshalb sind zum Beispiel an vielen Schulen naturwissenschaftliche Sammlungen in schlechtem Zustand. Dazu trägt auch das Problem bei, dass es oft niemanden gibt, der sich um die Instandhaltung kümmert. Ordnung halten, Defekte Geräte aussortieren, Reparaturen beauftragen, Neuanschaffungen planen –  während es früher für diese Aufgaben noch Unterrichts-Entlastung gab, müssen die Lehrer diese Aufgabe nun nebenbei erledigen. Da gerade die engagierten Pädagogen oft aber ohnehin zu wenig Zeit haben, verkommen die Sammlungen oft. Die Folge ist, dass die Materialien immer seltener im Unterricht eingesetzt werden und so die Lern-Qualität leidet.

„Unser Material soll Helfer und Führer sein für die innere Arbeit des Kindes. Wir isolieren das Kind nicht vor der Welt, sondern geben ihm ein Rüstzeug, die ganze Welt und ihre Kultur zu erobern“, sagte einst Maria Montessori. Die meisten Schulen sind von diesem Anspruch leider sehr weit entfernt. Und so wird es wohl leider weiter viel zu oft am Beginn des Unterrichtes heißen: „Schlagt bitte das Buch auf auf Seite 187!“

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